Westrich-Kalender

Der rätselhafte Raulenstein bei Wattweiler

Aus dem Westrich-Kalender Zweibrücken aus dem Jahr 1960, erfasst von Oberlehrer a.D. Otto Cappel


Er ist leicht zu finden und mühelos zu erreichen. Wir schreiten das Dorf hinunter und folgen am unteren Ende zunächst dem Weg, der nach dem Mölschbacherhof führt. Bald, nachdem wir aber die letzten Häuser hinter uns gelassen, zweigt rechts ein Weg ab, auf dem wir nach wenigen Schritten an zwei einsam stehende Einfamilienhäuser vor einem großen Sandsteinbruch gelangen. Dieser liegt am Fuße des in Richtung Webenheim sanft aufsteigenden Hanges. Rechter Hand verläuft eine Mulde im Wiesengrund und mündet hier in das Mölschbacher Tälchen. Gegenüber dem Steinbruch, am jenseitigen Muldenrand, erblicken wir, wie aus dem Wiesengrund aufsteigend, den Raulenstein. Durchaus nicht auffallend oder gar überwältigend, ist er nichts weiter als ein etwa 18 m breites und 4 m hohes, grauweißes Felsgebilde, das noch tief im Hang zu stecken scheint. Vor diesem Hauptfelsen steht, wie in den Wiesenboden gerammt, eine fast quadratische Säule (etwa 1 m : 1 m) von über 1 m Höhe. Sie ist von festerem Gefüge als der Hauptfelsen. Dieser ist sehr porös und seine Gestalt abgerundet wie eine mächtige Kuppel. Vom Wiesengrund aus sehen wir, dass er mannigfach unterhöhlt ist, daß enge Gänge unter ihm hin tief in den Berg zu führen scheinen. Für einen Menschen sind sie jedoch zu eng, um hineinzuschlüpfen und Erkundungen darin anzustellen. Aber Füchsen und Dächsen bieten sie unvergleichliche Wohnräume, und schon manches Huhn und manche Gans aus den benachbarten Bauernhöfen sind dem schlauen Herrn Reineke von Raulenstein ins Garn gegangen. Hier mag gleich der Name des Felsens gedeutet werden. In der Westpfalz ist da und dort das „Raul“ geläufig, womit man schmale Durchgänge zwischen zwei Häuserreihen bezeichnet. Raul kommt von dem französischen „ruelle“, was Gässchen bedeutet. Also wird unser Felsen so heißen, weil er durch eine Anzahl enger Gänge unterhöhlt ist.

Nun wollen wir das Rätselhafte des Steines zu entschleiern versuchen. Es ist allgemein bekannt, daß  in unserer engeren Heimat in der Hauptsache nur zwei Gesteinsarten, der Sand- und der Kalkstein auftreten, und zwar finden wie diesen immer als obere Schichten auf den Berggipfeln und Hochflächen, jenen in tieferen Lagen, besonders an den Talrändern. Ein anschauliches Beispiel hierzu bietet uns der „Bubenhauser“ Berg. Sobald wir die letzten Häuser an der Straße nach Wattweiler hinter uns haben, begegnen wir zwei großen Sandsteinbrüchen, dem an der Straße selbst und dem bei der „Johannisfreude“ gelegenen.
Auf der Höhe aber gibt es nur Kalksteine, die früher von drei, jetzt nur noch von zwei ansässigen Kalkwerken ausgebeutet werden. Wandern wir bis Wattweiler, das im Tale liegt, so treffen wir dort wieder Sandsteinbrüche. Einen haben wir eingangs bereits erwähnt. Etwa 50 m von diesem entfernt, befindet sich der Raulenstein, der seiner Lage nach auch ein Sandstein sein müßte. Das ist er aber nicht, sondern ein sehr poröses grauweißes Gestein, das an seiner Bruchstelle wie Kreide aussieht, jedoch viel härter ist als diese. Ein Baurat, der vor vielen Jahren einmal vorbei kam, bezeichnete ihn als erratischen Block oder Findling.
Wo soll da der Findling herkommen? Einen solchen kann man sich doch nur in einer Tiefebene oder in einem breiten Flußtal vorstellen, auf keinen Fall in einem hügeligen Gelände. In der Separatistenzeit zog einmal ein Zeitungsmann des Wegs daher, besah sich den Steinklumpen, sagte, es sei eine Tropfsteinhöhle und meinte damit wohl die Fuchslöcher. Er freute sich über seine Entdeckung und berichtete in seiner Zeitung darüber. Aber das Echo im pfälzischen Blätterwald blieb aus, und doch war dieser Mann der Lösung des Rätsels auf der Spur. Wenige Jahre später entdeckte der Verfasser dieser Zeilen etwa 1200 m östlich vom Raulenstein entfernt in einem Fichtenwald der Gemarkung Wattweiler, „in der kleinen Schlüsselbösch“ im Volksmund „Sauunner“ genannt, ein spärliches Rinnsal – Bächlein wäre zuviel gesagt. Auf dem Wege, den es nahm, waren die Fichtennadeln, auch Fruchtzapfen und Steinchen mit einer Kruste überzogen, die derjenigen glich, wie sie sich in Töpfen bildet, wenn kalkhaltiges Wasser darin gekocht wird. Und wo das Wässerlein in einen tiefen Graben rann, fand ich größere Brocken dieser Kalkablagerungen. Nun ging mir ein Licht auf: Der Raulenstein fiel mir ein, und ich dachte, so müsse dieses Gebilde auch entstanden sein. Auch dort sickert ein Wässerlein den Hang herunter, aber etwa 15 m entfernt durch den Feldweg. Ehedem mag sein Lauf den Felsen berührt haben. Ein faustgroßes Stück vom Raulenstein, das ich zu Hause aufbewahrte, ließ ich im Ofen durchglühen. Danach benetzte ich es mit Wasser, und es zerfiel in blühendweißen Kalkstaub. Jetzt stand bei mir fest: Der Raulenstein ist nichts anderes als eine Ablagerung aus kalkhaltigem Wasser. Jener Zeitungsmann hatte mit seiner Behauptung insofern recht, als auch bei Tropfsteinhöhlenbildung ähnliche Vorgänge wie hier stattfinden. Ein Geologe bestätigte mir zuletzt noch, daß unser Felsblock nichts weiter sei als Kalksinter, d.h. eine Ablagerung aus kalkhaltigem Wasser.


Er steht jetzt unter Naturschutz. Nach dem ersten Weltkrieg versuchte ein Steinmetz aus Zweibrücken, sich das Recht zu erkaufen, dieses Naturdenkmal abbauen und für seine Zwecke verwenden zu dürfen. Der Gemeinderat lehnte dieses Ansinnen ab. Daß man es beim Westwallbau ungeschoren ließ, ist ein großes Wunder.